Luise Rinsers neuer passionierter Roman erzählt eine bekannte Geschichte: Abaelard, geboren 1079 in der Bretagne, hat bereits eine glänzende Karriere als Philosoph und Theologe hinter sich, als er von dem Pariser Kanonikus Fulbert zum Erzieher der jungen, schönen. hochtalentierten Heloise bestellt wird. Lehrer und Schülerin verlieben sich, Heloise erwartet ein Kind. Abelard entführt sie, heiratet sie im Geheimen, das Kind Abaelards Schwester in Obhut gegeben. Fulbert in seinem Zorn läßt Abaelard entmannen, Heloise geht auf dessen Wunsch ins Kloster, auch Abaelard wird Mönch, lehrt aber weiter, von den Studenten verehrt, von den Orthodoxen verketzert, bedroht von Anschlägen und Prozessen. Im Frieden mit der Kirche stirbt er im Alter von 63 Jahren, Heloise überlebt ihn um 22 Jahre.
Luise Rinser macht zum Erzähler dieser so dramatisch bewegten Geschichte die Person, nach der in der Überlieferung nie jemand gefragt hat: Abaelards und Heloises Sohn. Seine wilden, verzweifelten, fordernden Aufzeichnungen, die das nie gewährte Gespräch mit der Mutter ersetzen, klagen die Eltern an und suchen sie zu begreifen in der Unbedingtheit ihrer Liebe, in ihrem trotzigen Widerstand gegen Konventionen und Lehrmeinungen, in ihrem schuldhaften Ehrgeiz und in der Bitternis ihres außerordentlichen Schicksals.
Wie in ihrem bedeutenden Roman 'Mirjam' durchdringt Luise Rinser hier einen alten Stoff von Grund auf, sprengt den Rahmen seiner historischen Bedeutung und lädt die Figuren mit der Leidenschaft ihres Fragens und Mitfühlens auf.
Luise Rinser läßt in ihrem Roman die Person zu Wort kommen, die in der
vielfältigen Literatur zu Abaelard und Heloise bislang nicht vorkam: ihren
gemeinsamen Sohn Astrolabius. Seine wilden und verzweifelten Aufzeichnungen,
die das nie gewährte Gespräch mit der Mutter ersetzen, sind Gegenstand
des Romans. In seiner tieferen Schicht setzt sich das Buch kämpferisch
mit der starr gewordenen, erosfeindlichen Amtskirche auseinander. Luise
Rinser errichtet Abaelard, der zu den bedeutendsten Gelehrten seiner Epoche
gehörte, ein literarisches Denkmal und feiert ihn als frühen Vorläufer
von Renaissance und Aufklärung.