Bis in die zweite H`lfte des 20. Jahrhunderts begegnete Goethes Faust seinem Publikum in der Schule, in den Hars`len und in der Literatur als Vorbild, als tatkr`ftig-optimistischer
Held, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Sein rastloses ÈStrebenÇ galt als Tugend und seine Lebensgeschichte als eine exemplarisch gelungene Persanlichkeitsentwicklung, als produktive Weltaneignung, als technisch-wissenschaftlicher Fortschritt - kurzum als Glxck.
In seinem Essay xber die Aktualit`t Goethes nimmt Michael Jaeger dagegen den Untertitel des Goetheschen Textes beim Wort und liest Fausts Drama als ÈTragadieÇ, als Katastrophe der modernen Zivilisation. Denn was Faust imaginierte - das Bild einer Gesellschaft, in der es keinen Augenblick der Ruhe mehr gibt - scheint heute beklemmende Realit`t zu sein. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts blicken wir auf die ungeheure Erfolgsgeschichte der faustischen Negation des Verweilens und auf den Triumph des modernen Mobilit`tsideals.
In dieser von global gxltigen, nahezu unentrinnbaren Bewegungsrhythmen bestimmten Welt mit immer schnelleren Bild-, Daten-, Finanz-, Konsum- und Verkehrsbewegungen stellt sich die Frage: Was um Himmels willen ist eigentlich so schlimm am Verweilen? Warum muss alles Daseiende permanent entwertet, jeder Ruhebezirk im Sinne des modernen Bewegungsgesetzes kolonisiert werden?
Welcher Preis ist zu zahlen fxr den Siegeszug des modernen Bewegungsideals, und wer oder was kommt unter die R`der dieser allgemeinen Mobilisierung?
Womaglich ist Fausts berxhmtes Streben, so die provozierende These des Autors, eine Verirrung, ein Weg in die Sackgasse, ins ÈEwig-LeereÇ, das als Horror vacui dann g`hnt, wenn jeder Ruhepunkt verschwunden ist.
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