Dass seit der Staatsgründung Israels nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung der arabischen Welt, in der ihre Geschichte vielerorts Jahrtausende - und damit weit vor die Entstehung des Islams wie auch des Christentums - zurückreichte, binnen weniger Jahrzehnte vertrieben wurde, ist ein bis heute wenig besprochenes Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das Schweigen, das diesen erzwungenen Massenexodus lange Zeit weltweit umgab, ist erst in den letzten Jahren allmählich gebrochen worden. Eine Reihe von Veröffentlichungen hat seither Licht auf den zentralen Aspekt der Geschichte der Juden unter islamischer Herrschaft geworfen: den Dhimmi-Status der nicht-muslimischen Minderheiten.
Eine dieser Arbeiten stellt das Buch Der zerrissene Faden. Wie die arabische Welt ihre Juden verlor von Nathan Weinstock dar. Der ça ira-Verlag legt mit diesem Werk die erste deutschsprachige Veröffentlichung des 1939 geborenen belgischen Historikers vor, seit 1975 sein Buch Das Ende Israels? bei Wagenbach als Übersetzung seines 1969 veröffentlichten Le Sionisme contre Israël erschien, von dem sich der Autor inzwischen distanziert und Neuauflagen untersagt hat. Darüber hinaus ist Weinstocks umfangreiches Werk, welches unter anderem Arbeiten zur jüdischen Arbeiterbewegung und kommentierte Übersetzungen aus dem Jiddischen und Hebräischen umfasst, im deutschsprachigen Raum bislang weitestgehend unbekannt. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil Weinstocks Distanzierung von seinem frühen Werk bislang behutsam beschwiegen und seine neueren Schriften nicht zur Kenntnis genommen worden sind.
Weinstock zeichnet in der im Herbst erscheinenden Studie die Geschichte der jüdischen Bevölkerungen in den aufeinanderfolgenden Imperien der arabischen Welt bis zu ihrer quasi vollständigen Vertreibung nach. Der Autor belegt anhand zahlreicher Quellen, dass die beliebte Rede von der althergebrachten Harmonie zwischen Juden und Muslimen eine Schimäre ist. Die Erniedrigung und Unterdrückung der jüdischen Minderheiten wird in seiner detaillierten Darstellung vielmehr als das Produkt einer Jahrtausende währenden Wechselwirkung zwischen christlicher und islamischer Herrschaftssphäre erkennbar, in deren Geschichte der Import der Topoi des modernen Antisemitismus in den Orient lediglich das vorletzte Kapitel darstellt.
Der Titel, dessen französische Originalausgabe 2008 und der in einer hebräischen Übersetzung 2014 in Israel erschienen ist, wird von Joel Naber ins Deutsche übertragen.