Als Luise Rinsers Roman "Mitte des Lebens" zum ersten Mal erschien, schrieb Die Weltwoche in Zürich: "Dieser Roman, eine Liebesgeschichte teils in Tagebuchform, teils direkt erzählt, ist wahrscheinlich das ausgeformteste und reichste Buch, das die deutsche Literatur heute besitzt. Es schildert die erfüllungslose Liebe eines um zwanzig Jahre älteren Mannes, Dr. Stein, Professor der Medizin, zu der jungen Studentin Nina Buschmann, die im Laufe der Handlung zur Frau heranwächst ... Das Buch ist viel mehr als eine bloße Liebesgeschichte, es ist die Summe der Lebens- und Kunsterfahrungen einer Dichterin, die ihre Zeit durchlitten und durchfochten hat, um sie nun zu sublimieren, Kindheit und Tod, Leidenschaft und Leere des Herzens, Künstlertum und Abstraktion, das ganze Leben schillert reich und vielfältig aus seinen Seiten."
Die 49-jährige Ich-Erzählerin Margret trifft zufällig ihre um zwölf Jahre
jüngere Schwester Nina, die sie seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gesehen
hat. Nina steht kurz vor ihrem Umzug nach England, der ihr die Flucht vor
der Liebe zu einem verheirateten Mann ermöglichen soll. Die letzten Tage
vor der Abreise verbringen die Schwestern gemeinsam. In dieser Zeit erfährt
Margret die Geschichte Ninas, hauptsächlich durch das Tagebuch des gerade
verstorbenen Arztes Dr. Stein, der ihren Lebensweg 18 Jahre lang - von
1929 an bis ins Jahr 1947 - begleitete. Er hatte sie als junge Studentin
kennen gelernt, als er sie von einer Blutvergiftung heilte, und verliebte
sich in sie. Sein Tagebuch beschreibt die Vergeblichkeit dieser Liebe und
die Hoffnung Steins, die um zwanzig Jahre jüngere Nina letztlich doch für
sich gewinnen zu können. Einer Verwirklichung dieses Wunsches steht jedoch
die Persönlichkeit Ninas, deren Darstellung den Kern des Buches bildet,
entgegen. Sie führt ein unstetes, unkonventionelles Leben, das bestimmt
ist von ihrem unbedingten Freiheitsdrang und einer beständigen Sinnsuche.
Ihr Lebenshunger lässt sie bei der Suche nach neuen Erfahrungen auch vor
großem Leid und Einsamkeit nicht zurückschrecken. Nach dem Tod ihres Vaters
übernimmt sie es aus finanziellen Gründen, eine kranke Tante bis zu deren
Tode zu pflegen. 1933 hilft sie gemeinsam mit Stein, Verfolgte über die
Grenze zu schmuggeln. Sie heiratet, hat zwei Kinder, doch die Ehe ist nicht
glücklich. Als sie von ihrem Mann bereits getrennt lebt, wird dieser zum
Tode verurteilt; sie hilft ihm, sich mit Gift zu töten. Wegen >>Beihilfe
zum Hochverrat<< wird sie selbst inhaftiert. Nach dem Krieg avanciert sie
zur erfolgreichen Schriftstellerin. Dem von Freiheit und Leidenschaft geprägten
Leben Ninas steht das der Schwester Margret gegenüber. Sie ist verheiratet,
führt ein geordnetes, bürgerliches Leben ohne besondere Aufregungen und
war immer zufrieden mit dieser ruhigen Existenz; erst als sie vom Lebens
Ninas erfährt, beginnt sie ihre vordergründige Zufriedenheit in Frage zu
stellen.